Neue Zürcher Zeitung, Georg Häsler, Bern, 16.12.2022
Die Linke sehnt sich nach einem Mirage-Skandal, der einfach nicht kommen will. Aber Viola Amherd muss jetzt liefern: Soll der F-35 wirklich den versprochenen Quantensprung bringen, braucht sie Mut zur Offenheit im Umgang mit Risiken.
Bei der Auslieferung der ersten F-35 in fünf Jahren wird der Rest der Armee noch nicht alle Fähigkeiten der Plattform nutzen können. Amherd muss deshalb die technologische Erneuerung des Gesamtsystems vorantreiben.
Zwei Obersten und ein Ingenieur hatten vom Generalstabschef freie Hand erhalten: Sie kombinierten den besten Kampfjet mit der besten Elektronik der Welt. Am Ende hob jedoch nur die Hälfte der helvetisierten Mirage wirklich ab. Das Parlament musste die Notbremse ziehen, weil die Beschaffungskosten explodiert waren. Zurück blieben «Erbitterung und Empörung», wie das Bundesblatt vom 1. September 1964 dokumentiert.
Was als Mirage-Affäre in die Schweizer Geschichte eingegangen ist, hängt bis heute in den Sälen im Bundeshaus wie abgestandener Stumpenrauch. Beflissen hält die Linke diesen Nachgeschmack der Vergangenheit in Erinnerung, um die Rüstungsprojekte der Gegenwart zu bekämpfen. Die Armee steht unter dem Verdacht, Luxuslösungen anzustreben und die Fakten zu verschleiern.
Doch ausgerechnet bei der Beschaffung des US-Kampfjets F-35 will der Skandal einfach nicht eintreten. Auch wenn linke Politiker und einzelne Journalisten in den sozialen Netzwerken weiter Halbwahrheiten verbreiten: Nach der aufwendigen, technischen Evaluation hatte der Bundesrat keinen Spielraum für undurchsichtige, politische Gegengeschäfte. In einem objektiven Verfahren erzielte der F-35 das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis. Punkt.
Punktesieg für Amherd
Zudem kauft die Schweiz die Jets ab Stange – ohne jede Helvetisierung. Die Plattform der fünften Generation ist unterdessen praktisch europäischer Standard. Von Finnland bis Italien setzen die Luftwaffen auf das US-System. Selbst Deutschland will nun die uralten Tornados durch den F-35 ersetzen – und sorgt mit dem Kaufvertrag für eine saftige Überraschung. Die Schweizer Armee erhält ihr neues Kampfflugzeug tatsächlich fast um die Hälfte günstiger als die Bundeswehr.
Diese Woche billigte der Haushaltsausschuss des Bundestags die Beschaffung von 35 Plattformen für knapp 10 Milliarden Euro. Die Schweiz bezahlt dagegen für 36 Maschinen einen Bruttopreis von 6 Milliarden Franken. Bundesrätin Viola Amherd, die Chefin des Verteidigungsdepartements (VBS), trägt einen Punktesieg davon – mindestens in dieser Runde des politischen Wettbewerbs.
Ihr Argument, den Kaufvertrag sofort zu unterschreiben und nicht eine Volksinitiative abzuwarten, hat sich als richtig erwiesen. Die Bestellung aus der Schweiz ist weiter vorne in den Auftragsbüchern als die deutsche. Hätte Amherd eine zweite Abstimmung nach der Grundsatzentscheidung vom September 2020 abgewartet, wären die guten Konditionen möglicherweise verfallen wie ein Büchergutschein.
Die Fakten sprechen für sich
Die Schweiz hat zudem mit dem F/A-18 bereits seit dreissig Jahren ein US-Mehrzweckjet im Einsatz. Die Flugplätze sind bereit, ein Teil der Waffen kann vorerst weiter verwendet werden. Doch genau an diesem Punkt endet die Vergleichbarkeit: Die deutsche Regierung beschafft den F-35 für die nukleare Teilhabe im Rahmen der Nato, also die Fähigkeiten zum Atomwaffeneinsatz. Im deutschen Warenkorb, den der US-Kongress bewilligt hat, ist die wesentlich grössere Liste an Zubehör enthalten als im schweizerischen.
Deshalb ist klar: Die Beschaffung eines topmodernen Jets war die Pflicht. Mit der konkreten Einführung des Systems beginnt für Amherd, die sich bei der Departementsverteilung gerade zum VBS bekannt hat, die Kür. Bei der Auslieferung der ersten F-35 in fünf Jahren wird der Rest der Armee noch nicht alle Fähigkeiten des neuen Kampfflugzeugs nutzen können. Amherd muss deshalb die technologische Erneuerung des Gesamtsystems vorantreiben.
Doch dazu braucht es den Mut, Rückschläge in Kauf zu nehmen und diese auch offen anzusprechen. Die Integration des F-35 in die zukünftige Digitalplattform der Armee, eigentlich ein grosser Wurf, wird nicht reibungslos ablaufen. Genau darin liegt die Chance aller Beteiligten, diese Eigenentwicklung weiterzubringen. Verzögerungen sind nicht a priori ein Versagen, ebenso wenig Mehrkosten, sofern sie gut begründet sind.
Das Misstrauen beginnt, wenn das Parlament oder die Medien auf konkrete Fragen verklausulierte Antworten erhalten. Das gibt den destruktiven Kräften den Stoff für ihre Märchenstunden. Doch der Mirage-Skandal ist vorbei. Das VBS und die Armee sollten wieder mehr Innovationen wagen – und dazu stehen. Denn die Fakten sprechen für sich.