Neuer Zürcher Zeitung, 21.02.2023, David Biner, Georg Häsler
Das Parlament versucht weiter, eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes zu erreichen. Aber auch nach dem Coup vom Dienstag bleibt es kompliziert.
Das Parlament rettet die Debatte um die indirekte Waffenhilfe für die Ukraine in eine nächste Runde. Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats (SiK-N) hat am Dienstag einen entsprechenden Kompromiss gefunden. Demnach wird eine parlamentarische Initiative der Schwesterkommission aus dem Ständerat weiterverfolgt – wenn auch beträchtlich modifiziert.
An dem Grundprinzip, das die Ständeräte Thierry Burkart (FDP) und Werner Salzmann (SVP) auf den Weg gebracht haben, wird nicht gerüttelt. Ländern, die sich demokratischen Werten und einem vergleichbaren Exportkontrollregime wie die Schweiz verpflichten, soll es künftig wieder erlaubt sein, in der Schweiz gekauftes Rüstungsmaterial weiterzugeben. Auch an ein Bestimmungsland, das «von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht», womit die Ukraine gemeint ist.
SP setzt auf die Uno
Das Gesetz würde rückwirkend gelten. Rüstungsgüter, die in den letzten fünf Jahren vor dem Inkrafttreten der vorgesehenen Gesetzesreform gekauft worden sind, könnten ebenfalls weitergegeben werden. Der Entscheid der SiK-N kann nach einer monatelangen Debatte als eine Annäherung der Positionen der SP und der FDP bezeichnet werden. Ein Durchbruch ist es nicht, denn es bleibt kompliziert.
Die SP-Mitglieder der SiK-N bauen eine weitere Hürde ein, nämlich, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen zuerst per Zweidrittelmehrheit einen Verstoss gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot feststellen müsste, bevor der Bundesrat eine Wiederausfuhr von Schweizer Waffen bewilligen könnte. Auch die fünfjährige Rückwirkung soll verschärft werden. So soll die Weitergabe von Rüstungsgütern nur auf Gesuch der entsprechenden Staaten an den Bundesrat erlaubt werden. Die Sicherheitspolitikerinnen der SP wollten damit einen unkontrollierbaren Automatismus verhindern.
«Wir haben um jedes Wort gerungen und einen völkerrechtsbasierten Kompromiss gefunden, den wir so mittragen können», sagte die SP-Nationalrätin Franziska Roth nach der Kommissionssitzung. Ihr sei bewusst, dass eine signifikante Minderheit der SP-Fraktion diesen Kompromiss womöglich nicht unterstützen werde. «Aber wir wollten zeigen, dass wir bereit sind, den eingeschlagenen Weg nicht schon nach den ersten Widerständen wieder aufzugeben.» Aus dem Abstimmungsverhältnis – die parlamentarische Initiative wurde mit 12 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen gutgeheissen – ist zudem zu schliessen, dass auch die Mitte den Kompromiss mitträgt.
Deren Mitglieder wurden im Vorfeld von der Fraktionsspitze angehalten, eine entsprechende Mehrheit zu unterstützen. Im Gegenzug hat die Kommission bei ähnlichen Mehrheitsverhältnissen entschieden, an einem Vorstoss der Mitte, der sogenannten «Lex Ukraine», festzuhalten. Diese sieht ein dringliches, zeitlich beschränktes Gesetz vor, das das Wiederausfuhrverbot aufheben würde, wenn feststünde, dass «die Wiederausfuhr des Kriegsmaterials an die Ukraine im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg» erfolgen würde. Die SiK des Ständerats hatte diesen Vorstoss Anfang Februar noch abgelehnt.
Die Schweiz geriet nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs unter Druck, weil Schweizer Rüstungsgüter nicht weitergegeben werden durften – unter anderem Munition für die 35-mm-Doppellaufkanone des Fliegerabwehrpanzers Gepard. Vor gut einem Jahr verschärfte das Parlament das Kriegsmaterialgesetz (KMG) derart, dass dem Bundesrat keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als alle Gesuche abzulehnen. Deshalb wurde intensiv nach einer Lösung gesucht.
Reifeprüfung für das Parlament
Noch am Freitag hatte die SVP-Fraktion entschieden, am geltenden Gesetz gebe es gegenwärtig nichts zu rütteln. Es dürfe ja nicht der Anschein erweckt werden, dass die Schweiz im gegenwärtigen Konflikt nicht strikt zu ihrer militärischen Neutralität stehe. Die Anpassung des KMG stand auf der Kippe, weil sich eine Rechts-links-Sperrmehrheit abzeichnete: Die SVP und die Grünen sind gegen jede Aufweichung des KMG, die SP-Spitze schien eher auf der pazifistischen Seite zu stehen.
Diese ideologische Blockade löste übers Wochenende eine grössere Hektik aus. Ohne einen Kriegsmaterial-Kompromiss drohe das Ende der Rüstungsindustrie und damit der bewaffneten Neutralität, wurde in sicherheitspolitisch engagierten Kreisen befürchtet. Der FDP-Präsident Thierry Burkart machte sich deshalb persönlich für einen Kompromiss mit der SP stark – und legte sich am Dienstag auch als Berichterstatter aus der ständerätlichen SiK ins Zeug.
Am Ende gelang es ihm und der FDP-Nationalrätin Maja Riniker, eine Koalition der Willigen zu bilden. Die SP-Sicherheitspolitikerinnen und -politiker im Nationalrat emanzipierten sich von den programmatischen Utopien ihrer Partei und willigten in den nun vorliegenden Änderungsvorschlag ein. Gegenüber der NZZ zeigte sich Burkart erleichtert, es brauche aber noch einiges an Arbeit in der SiK des Ständerats.
Insbesondere die Rechtsverbindlichkeit eines Uno-Beschlusses müsse genauer angeschaut werden, ebenso die Rolle des Bundesrats, gibt Burkart zu bedenken. Eine strenge Auslegung des Neutralitätsrechts gemäss Haager Landkriegsordnung von 1907 verlangt bei staatlichen Regelungen von Rüstungsexporten eine Gleichbehandlung der verschiedenen Kriegsparteien. Burkart ist aber zuversichtlich, dass nun eine solide Basis für die Anpassung des KMG vorliegt.
Das Geschäft soll noch dieses Jahr ins Parlament. Ob sich ein Kompromiss auch im Plenum schliesslich durchsetzt, hängt von der Überzeugungskraft des freisinnig-sozialdemokratischen Zweckverbunds ab. Es wäre ein Reifezeugnis für das Parlament im Wahljahrs 2023.