In der vierten Woche des Krieges in der Ukraine sind mit Stand 25.03.2022 alle ukrainischen Militärflugplätze mindestens einmal beschossen worden. Einige liegen zudem in unmittelbarer Nähe zu umkämpften Gebieten und werden deshalb nicht mehr genutzt. Der ukrainischen Luftwaffe verbleiben drei Militärflugplätze, welche mit Einschränkungen nutzbar sind. Dies entspricht etwa 25% der Gesamtkapazität.
Von den bei Kriegsbeginn einsatzbereiten Kampfflugzeugen dürfte die ukrainische Luftwaffe mittlerweile ca. 50% verloren haben. Bei den für die Luftverteidigung relevanten Kampfflugzeugtypen MiG-29 FULCRUM und Su-27 FLANKER belaufen sich die Verluste auf ca. 25%. Allerdings wurden auch zwei für den Unterhalt relevante Flugzeugwerke mit Abstandslenkwaffen angegriffen und erheblich beschädigt, weshalb sich die Instandhaltung und Reparatur der Kampfflugzeuge inzwischen sehr schwierig gestalten dürfte. Die ukrainische Luftwaffe dürfte die noch einsatzbereiten Kampfflugzeuge deshalb konservieren und nur punktuell einsetzen. Aktuell erbringen die Drohnen der ukrainischen Luftwaffe und der Marine unterstützende Leistungen durch Aufklärung und Feuerleitung.
Die ukrainische BODLUV ist noch immer aktiv und wirkt abhaltend auf die russische Luftwaffe. Bisher konnte vorwiegend der Einsatz von MANPADS (Man Portable Air Defense System), vereinzelt auch von SHORAD (Short Range Air Defense) und MRAD (Medium Range Air Defense) Systemen festgestellt werden. Die ukrainische Luftwaffe kann noch immer zumindest partiell ein RAP (Recognized Air Picture; erkannte Luftlage) erstellen und so auch die Warnung der Zivilbevölkerung der Städte vor bevorstehenden Luftangriffen sicherstellen.
Die russische Luftwaffe konnte die Luftherrschaft über weiten Teilen der Ukraine noch immer nicht erringen. Über den russisch kontrollierten Gebieten im Südosten und Osten verfügt die russische Luftwaffe in der aktuellen Phase des Luftkrieges über Luftüberlegenheit. Im Nordosten und Norden kann die russische Luftwaffe räumlich und zeitlich begrenzt eine vorteilhafte Luftsituation generieren. Der restliche ukrainische Luftraum ist umkämpft.
Angesichts der in den Einsatzraum verlegten Mittel wäre die russische Luftwaffe befähigt, auch dort eine vorteilhafte Luftsituation zu generieren. Ein darauf ausgerichtetes Vorgehen konnte bisher jedoch nicht erkannt werden, trotz der grossen zahlenmässigen Überlegenheit der russischen Luftwaffe. Ein Grund dafür dürfte die nach wie vor aktive ukrainische BODLUV sein, deren Unterdrückung und Bekämpfung der russischen Luftwaffe grosse Mühe zu bereiten scheint. Die ukrainischen bodengestützten Luftverteidigungssysteme werden verteilt eingesetzt und verlegen in kurzen Zeitintervallen. Zumindest ein Teil der ukrainischen Systeme grosser Reichweite des Typs S-300 (SA-10 GRUMBLE) dürfte nach wie vor intakt sein und konnte sich bisher der russischen Aufklärung erfolgreich entziehen. Diese Unsicherheit bezüglich dem Zustand der ukrainischen BODLUV grosser Reichweite wirkt abhaltend auf die russische Luftwaffe.
Mittel- bis langfristig werden die anhaltenden Verluste die Effektivität der ukrainischen BODLUV reduzieren. Ohne Nachschub wird die ukrainische Luftwaffe über die Zeit zunehmend abgenützt, bis sie nicht mehr einsatzfähig ist. In der Folge wird die russische Luftwaffe die Luftherrschaft erringen und anschliessend die Aktionen der Bodentruppen effektiver unterstützen.