MEINUNG
Um die neuen Bedrohungen wirksam zu bekämpfen, müsse unser Land die Option einer verstärkten und gezielten Zusammenarbeit mit der NATO in Betracht ziehen, schreibt Damien Cottier, Nationalrat (NE), Präsident der FDP-Liberalen Fraktion.
Damien COTTIER
Nationalrat (NE), Präsident der FDP-Liberalen Fraktion
Stockholm und anschließend Helsinki. Der Besuch der Nationalratspräsidentin, der Anfang April stattfand, war seit einigen Monaten geplant. Sicherheitspolitisch hätte er jedoch nicht aktueller sein können, da der von Russland gegen die Ukraine geführte Angriffskrieg die Karten der europäischen Sicherheitsarchitektur, insbesondere in Skandinavien, völlig neu gemischt hat. Als Mitglied der Delegation des Schweizer Parlaments bei diesem Besuch war ich erstaunt, dass alle unsere finnischen Gesprächspartner die Idee eines schnellen NATO-Beitritts aufgriffen, angefangen bei der von einer linken Mehrheit getragenen Regierung. Während das Land seit Jahrzehnten neutral ist, um seine Sicherheit zu gewährleisten, sind die Finnen heute der Ansicht, dass der Beitritt zur NATO die beste Option geworden ist. Und Schweden scheint sich, wenn auch mit weniger Eifer, auf einen ähnlichen Weg zu begeben.
Die Welt, in der wir leben, geriet am 24. Februar aus den Fugen, als Russland seinen Invasionsversuch in der Ukraine startete. Der Krieg hat alles verändert, ein schrecklicher Krieg, der von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung begleitet wird, die nach den Genfer Konventionen streng verboten sind. Und die Sicherheit unseres Kontinents rückte wieder in den Mittelpunkt des Interesses, insbesondere die Frage nach der Rolle der Nordatlantikvertragsorganisation (NATO).
Die NATO ist ein Erbe des Kalten Krieges und hat sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als starkes Bündnis auf kontinentaler Ebene etabliert. Die Staaten des ehemaligen Ostblocks traten der NATO nach und nach aus zwei Hauptgründen bei: Um sich in der westlichen Welt zu verankern und um sich vor den expansionistischen Visionen der russischen Regierung zu schützen. Angesichts der jüngsten Geschichte, insbesondere in Georgien und der Ukraine, sind Staaten wie Polen oder die baltischen Staaten froh, Teil der NATO zu sein, da es um ihr Überleben als unabhängige Nationen gehen könnte. Auch die Ukraine hat den Wunsch, der NATO beizutreten, schon seit langem geäußert.
Da die Schweiz im Herzen eines Kontinents liegt, der seit 1945 weitgehend befriedet war, besteht für sie glücklicherweise keine Gefahr einer Aggression durch ihre unmittelbaren Nachbarn. Zudem trennt sie eine “Barriere” aus NATO-Mitgliedstaaten von Russland. Die Hoffnung, dass wir kostenlos geschützt werden, ist jedoch ein gefährliches Hirngespinst. Und unser Land darf sich nicht als blinder Passagier der europäischen Sicherheit betätigen. Noch gestern behaupteten einige, die Schweiz brauche keine Armee, weil Krieg in Europa unmöglich geworden sei: Leider zeigt sich, dass dem nicht so ist. Die Schweiz muss sich auf eine effiziente Armee verlassen können, um sich im Falle einer Bedrohung verteidigen zu können. Dies ist heute nicht der Fall: Unsere Armee hat zu wenig Mittel und ist verwundbar gegen Angriffe aus der Luft. Daher muss das Militärbudget schrittweise auf 7 Milliarden pro Jahr erhöht werden, wie es die FDP vorgeschlagen hat.
Unser Land muss auch auf die Bedrohung durch Interkontinental- oder Mittelstreckenraketen sowie auf sogenannte “hybride” Konflikte vorbereitet sein, die unter anderem klassische militärische Interventionen, Cyberangriffe, Desinformation oder auch den Einsatz von Söldnern miteinander verbinden. Um solche Bedrohungen wirksam bekämpfen zu können, sollte unser Land nicht die Option einer Mitgliedschaft, die seiner Neutralität zuwiderlaufen würde, sondern eine verstärkte und gezielte Zusammenarbeit mit der NATO in Betracht ziehen.
Die Schweiz beteiligt sich bereits seit 1996 an der Partnerschaft für den Frieden (PfP), die im Rahmen der NATO eingerichtet wurde. Diese bilaterale Struktur koordiniert die Militärstrategien der Mitgliedsstaaten und organisiert gemeinsame Übungen, wie z. B. die Ausbildung zur Cyberverteidigung. Unser Land sollte sich auch an Schweden und Finnland orientieren, die dafür sorgen, dass ihre Waffen mit denen der NATO interoperabel sind. Aus diesem Grund kauft Finnland, wie es die Schweiz nach der Zustimmung des Volkes vorsieht, Flugzeuge des Typs F-35. Auch wenn unser Land aufgrund seiner Neutralität nicht an einem traditionellen Konflikt teilnimmt, sollten wir uns nicht täuschen: Es steht eindeutig auf der Seite der Demokratien und des Rechts, die heute unter Beschuss stehen. Im neuen internationalen Kontext wird uns eine engere Zusammenarbeit mit der NATO ermöglichen, unsere Verteidigungsfähigkeiten auszubauen und gleichzeitig unsere strategische Unabhängigkeit zu bewahren. Die Schweiz wird weiterhin ihre Sicherheit und die Werte, für die sie steht, verteidigen: Frieden, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.