Ist der modernste Jet im Rennen es wert, die Existenz der Luftwaffe zu gefährden? Von Michael Keller, 8264 Eschenz. Replik auf den Artikel im Cockpit 09/2021 von Konrad Alder, Uerikon.

Ja, es ist es wert!

Michael Keller stellt im Cockpit 09/2021 provokativ die Frage «Ist der modernste Jet im Rennen es wert, die Existenz der Luftwaffe zu gefährden?» und fordert, dass die vom Bundesrat als Ersatz für die veralteten F-5E Tiger II und F/A-18C/D beantragte Beschaffung des F-35A Lightning II vom Parlament zurückzuweisen sei. Die Sicherheit der Schweiz könne mit einem der anderen ebenfalls im Auswahlverfahren geprüften Kandidaten gewährleistet werden. Seine Forderung begründet er nun allerdings mit Argumenten, die einem Faktencheck nicht Stand halten. So zum Beispiel:

«Die 36 Kampfjets werden hauptsächlich für den Luftpolizeidienst benötigt»
Raison d’Être unserer Luftwaffe/Armee ist die Landesverteidigung, nicht der Luftpolizeidienst in Friedenszeiten! Wir suchen deshalb nicht primär ein für diese Aufgabe optimiertes Kampfflugzeug. Das vom Bundesrat abgesegnete Pflichtenheft als Basis für unser Auswahlverfahren verlangt vom neuen Kampfflugzeug denn auch folgerichtig Fähigkeiten im Bereiche Luftverteidigung, Aufklärung und Luftangriff zur Unterstützung unserer Bodentruppen.

«Woher sollen die Informationen für die F-35 kommen, woher sollen die F-35-Sensordaten gesendet werden?»

Für die Einsatzführung der F-35-Flotte steht unserer Luftwaffe mit dem Luftraumüberwachungs- und Einsatzleitsystem FLORAKO ein leistungsfähiges, ständig erneuertes Mittel zur Verfügung. Dank dem integrierten Data Link MIDS Link 16 ermöglicht dieses den gegenseitigen Austausch von technischen und taktischen Daten. Mit dem Multi-Funktionalen Informationsverteilungssystem Link 16 ist es bei gleichem MIDS-Schlüssel z.B. auch möglich, Daten mit weiteren Nutzern in der Luft und am Boden auszutauschen. Mit dem Kauf des F-35A schaffen wir auch eine Redundanz für unsere im Ernstfall von gegnerischen Luftangriffen bedrohten Radarstationen. Es ist im Übrigen geplant, bis zur Einführung des F-35A bei unserer Luftwaffe die Entwicklungsschritte «Kommunikation Luft/Boden und «Joint all Domain Operations» umzusetzen. Damit werden in Zukunft auch die Verbände unserer Bodentruppen Nutzniesser der vom F-35A-Kräftemultiplikator gewonnen technischen und taktischen Daten sein. Bereits heute kann auch vorausgesagt werden, dass ein Verbund von FLORAKO, F-35A und Luftabwehrsystem Patriot grösserer Reichweite unsere geplante integrierte Luftverteidigung deutlich leistungsfähiger machen wird.

«Die Stealth-Fähigkeit ist nur sinnvoll, wenn man unerkannt angreifen will»
Die integrierte Stealth-Technologie des F-35 ist vor allem auch in der bei uns im Vordergrund stehenden «Defensiven Luftverteidigung» im und über dem eigenen Raum von entscheidender Relevanz!  Das belegen die bei den jährlich mehrmals durchgeführten Red Flag-Luftkriegsmanövern der U.S. Air Force gewonnenen Erkenntnisse mit Abschussverhältnissen von 1:20 und mehr zu Gunsten der 5. Generation-F-35A eindrücklich.

«Der F-35 war nicht umsonst der langsamste Jet der Evaluation»
Im Rahmen des Auswahlverfahrens mussten alle vier Mitwettbewerber die gleichen Einsätze gegen je ein hoch- und tieffliegendes Ziel sowie eine Identifikations-Mission in der Nacht fliegen. Dabei zeigte der F-35A wegen den in seinen beiden internen Rumpfwaffenschächten mitgeführten Luftzielraketen und voll integrierten Sensoren gleiche oder bessere Leistungen im Vergleich mit den übrigen drei Mitwettbewerbern der Generation 4++, die ihre Waffen und übrigen Nutzlasten an Unterflügel- und Unterrumpfwaffenstationen mitführen mussten, was deren Manövrierbarkeit und Geschwindigkeit negativ beeinflusste. In einer professionell durchgeführten Evaluation dürfen bei solchen Einsatztests eben nicht «Clean-Konfigurationen» geprüft werden, sondern es sind realistisch bewaffnete und ausgerüstete Maschinen, wie sie in einer Ernstfall-Mission geflogen würden, einzusetzen. In diesem Zusammenhang hat Oberstlt Bernhard Berset, Chef-Test-Pilot der Armasuisse, auch festgestellt, dass der F-35A in Einsatzkonfiguration über vergleichbare Flugleistungen bei einer deutlich längeren Verweilzeit im Operationsgebiet verfügt, was insbesondere bei Luftpolizeidiensteinsätzen und dem Konferenzschutz von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.

«Auch reissen die schlechten Nachrichten über den F-35 nicht ab»
Das deutliche Ergebnis unseres Auswahlverfahrens zeigt, das Lockheed Martin mit dem F-35A ein Quantensprung gelungen ist. Dies zu einem hohen Preis und «Lehrgeld» mit ungelösten «Teething Troubles», wie sie allerdings bei allen ambitionierten Neu- und Weiterentwicklungen auftreten. Wir dürfen positiv davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Zulaufs des F-35A zu unseren schweizerischen Einsatzstaffeln 2026/2027 diese Probleme der Vergangenheit angehören werden. Bereits heute operieren gemäss Angaben von Lockheed Martin auf 29 Luftstützpunkten weltweit 690 F-35 aller drei Versionen mit einer hohen durchschnittlichen Einsatzfähigkeit von 70 % (Ziel: 80 %). Dabei wurden bis Anfangs September 2021 insgesamt 430’000 Flugstunden akkumuliert. Jeder Einsatz wird akribisch ausgewertet und die dabei gewonnenen Erkenntnisse zur Produktverbesserung und zur Eliminierung bestehender «Kinderkrankheiten» genutzt.

«Zu hohe Betriebs- und Unterhaltskosten»
Erst kürzlich haben das Pentagon und Lockheed Martin als F-35-Hersteller einen neuen Wartungsvertrag mit dem Ziel abgeschlossen, die durchaus hohen Betriebskosten in den kommenden fünf Jahren um weitere 40 % zu reduzieren und sie damit in den Kostenbereich eines Kampfflugzeugs der Mitwettbewerber-Generation 4++ zu senken. Diese Einsparungen sollen u.a. durch verbesserte Kosten und Geschwindigkeiten in der Lieferkette, kontinuierliche Zuverlässigkeitsverbesserungen und eine höhere Personaleffizienz bei der Bereitstellung von Produktunterstützungslösungen für die ständig wachsende, globale Flotte erreicht werden. Unser Auswahlverfahren hat auch gezeigt, dass der F-35A bei einer neutralen Vollkostenrechnung das günstigste Flugzeug im Wettbewerb war. Dabei flossen zahlreiche Kosten in die Flugstunden-Berechnung ein, welche bei Flugzeugen der 4. Generation in der Regel nicht berücksichtigt werden.

 «Es geht um die Sicherheit der Schweiz! Diese kann mit jedem der anderen 3 Kandidaten sichergestellt werden, aber nicht mit dem F-35»
Michael Keller bleibt eine aussagekräftige Antwort schuldig. Er verweist lediglich auf die GSoA, die mit dem Ziel der Abschaffung unserer Armee erfahrungsgemäss jedes Kampfflugzeug bekämpfen würde. Da vertraue ich besser dem 70-köpfigen Projektteam unseres Auswahlverfahrens und unserer für unsere Sicherheit die Verantwortung tragenden Bundesrätin Viola Amherd. Wenn wir unsere Luftwaffe als Einsatzmittel der ersten Stunde und als strategische Reserve unseres Bundesrats – wie von GSoA, SP und Grüne Schweiz angestrebt – nicht irreversibel verlieren wollen, geht es nun für alle armeebejahenden Kräfte darum, sich vorbehaltlos hinter das Programm Air2030 zu stellen und sich dafür zu engagieren, dass unser Parlament der F-35-Beschaffung mit  einer überzeugenden Mehrheit zustimmt und wir danach auch die uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgezwungene «Stopp F-35»-Initiativabstimmung mit einem ordentlichen Stimmen-Resultat und nicht nur mit der Hilfe eines Ständemehrs gewinnen.